… ok – er war auch nie weg – zumindest nicht auf den Bühnen der Social Media Plattformen, die er so gern für die eigene Nabelschau nutzt. „Er“ ist der Historiker der Herzen aka Ilko-Sascha Kowalczuk, der Lieblings-Ossi der freiheitsliebenden Demokraten bundesdeutscher Prägung, der wie kein anderer mit der präfaschistischen Disposition der Mehrheitsgesellschaft in den neuen Bundesländern gebrochen hat und der sich seit „der Wende“ um die Klärung der Frage bemüht, warum sich diese Ossis so schwer in das gesellschaftlich-ökonomische System der alten Bundesländer integrieren lassen. Wie kein anderer spielt er dabei virtuos die Klavitatur der Ressentiments, die „dem Ossi“ bewusst oder unterschwellig in der Gesellschaft entgegenschlagen: im Grunde alles verkappte Faschisten, Anti-Demokraten, vom Eigennutz getriebene Subjekte, deren Streben 1989 der Banane sowie dem Volkswagen und nicht der Freiheit galt. Heute hat der Historiker als eine Art Canis melitæus auf dem moralisch überhöhten Podest Platz genommen, welches ihm seine Freunde errrichtet haben. Und immer dann, wenn es die aktuellen Tagesereignisse erfordern, wird er in das gleißende Licht der Demokratie gezerrt und darf dann laut „unbequeme“ Wahrheiten über „den Osten“ absondern.
In letzter Zeit war eben dieser Historiker wieder stark gefordert: Neben verschiedenen tagespolitischen Ereignissen mit Ost-Bezug galt es vor allem, den Outfall der Landtagswahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern zu bewerten. Und so griff der Historiker beherzt in die Tasten, um insbesondere auf X seine Sicht der Dinge in die Köpfe der Leserschaft hinein zu hämmern. Dabei wechselten die Themen in schöner Regelmäßigkeit zwischen vermeintlich aktuellen Sachbezügen aus der (ost-)deutschen Gesellschaft und seiner literarisch-historischen Abrechnung mit den DDR-Mitbürgern bzw. deren Abkömmlingen, der Bekundung der uneingeschränkten Solidarität mit der Ukraine („nukes or immediately join the NATO“), sich ständig wiederholender Selbstbeweihräucherung für die Stellung eines Aufnahmeantrags für die DGO1 sowie das Abarbeiten am BSW im Allgemeinen („… es gibt historisch kein Beispiel für eine Partei, die expressis verbis nach ihrem Gründer benannt wurde …“) und der Führungsriege dieser Partei im Besonderen.
Hinzugekommen ist nunmehr ein weiteres Thema, dem sich der Historiker mit zunehmender Begeisterung widmet – nämlich der Auseinandersetzung mit dem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung: Wie die Konstruktion des Ostens unsere Gesellschaft spaltet“ von Dirk Oschmann, veröffentlicht im Ullstein Verlag. OK – auseinandersetzen mit Oschmanns Buch ist vielleicht etwas übertrieben. Vielmehr ergötzt sich der Historiker in der wiederkehrenden Behauptung, Oschmann hätte sich durch die fehlgeleitete russische Übersetzung eines Verlages, der das Buch in Lizenz in Russland vertreibt, in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine auf die Seite des russischen Aggressors geschlagen.
Was den Historiker wahrscheinlich tatsächlich stört, ist der Umstand, dass das Werk von Oschmann im Deutungskampf um die ostdeutsche Geschichte zumindest in den Bestseller-Listen der einschlägigen Bookseller vor Kowalczuks eigenem Erklärungsversuch der ostdeutschen Seele rangiert. Aber vielleicht handelt er ja auch nur nach der Devise „Lieber schlechte als keine Presse“ und wirft in infantiler Einfalt mit Plattitüden um sich, die einzig dem Zweck dienen, seinen Kontrahenten zu diskreditieren: So ist Oschmann für den Historiker ein „Russischspezialschüler“ – wohl in Anspielung auf dessen Ausbildung an einem sprachlich ausgerichteten Gymnasium. Was die gymnasiale Bildungsgeschichte Oschmanns mit dessen moralischer Integrität zu tun hat, verrät der Historiker seinen Lesern freilich nicht. Auf der anderen Seite widerspiegelt dieser untaugliche Versuch der Diskreditierung die recht schlichte Gedankenwelt des Historikers – 1 oder 0, gut oder böse wird an einfach nachvollziehbaren Attributen festgemacht – nichts hilft im Leben bekanntlich mehr als ein klar strukturiertes Feindbild.
Und Feinde lassen sich in diesen Zeiten recht schnell attributieren; Linke, Sozialisten, Kommunisten, Menschen, die nicht akzeptieren wollen, dass die „soziale Marktwirtschaft“ die Krönung der wirtschaftspolitischen Entwicklung der gesamten Menschheit ist, „Russlandfreunde“, die nur deshalb in diese Begriffskategorie gerutscht sind, weil sie eine friedliche Lösung des russischen Angriffskrieges bevorzugen, nicht dem lautem Geheul der Hetzer und Kriegsgewinnler folgen und im Zweifel auch nicht einen globalen Systemkonflikt aka 3. Weltkrieg als Lösung eines regionalen Konflikts ansehen.
Gerade hier hat sich der Historiker aber selbst eine goldene Brücke der moralischen Rechtfertigung gebaut, indem er sich als Liberalisten in der Tradition eines John Locke darstellt. Dagegen kommt man schwer an. Sodann schiebt er aber noch nach, dass der Liberalismus und die Demokratie freilich auch Grenzen kennen und macht diese Grenzen am Toleranzparadoxon von Popper fest. In der Konsequenz muss Demokratie gegen die Feinde dieser auch militant verteidigt werden. Und damit schließt sich dann auch der Kreis in der Bewertung des Russland-Ukraine-Krieges: Die Russen wollen die Demokratie in der Ukraine niederringen und müssen mit allen Mitteln daran gehindert werden. Erstaunlich, wie wenig Kowalczuk hierbei den Erkenntnissen seiner eigenen Profession über die letzten 2000 Jahre Menschheitsgeschichte aufgeschlossen ist, die sicher nicht lauten: Mit Krieg löst man Probleme!